Erschienen in: Psychosoziale Umschau 04/2021:

 

 Teile deine Erfahrung – A glimpse beyond reality

 

 Autorin:

 

Salamena, Beatrice Bianca. Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Universität Konstanz im Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt. www.beatricebianca.com

 

 

Das Projekt „A glimpse beyond reality“, das ich gemeinsam mit Britta, Christopher, Jürgen und Sabine Anfang Februar 2019 abhielt, basiert auf dem Wunsch psychotisches Erleben zu enttabuisieren. Das Projekt, das meine Masterabschlussarbeit in Sozial- und Kulturanthropologie bildete, hatte sich zum Inhalt gesetzt die psychotische Erfahrung so nahe wie möglich und unter den eigenen Definitionen, Sinneserfahrungen und Sinngebungen zu beschreiben oder darzustellen, so dass sie für andere greifbar wird. Mit dem Ziel Menschen dafür zu sensibilisieren, dass psychotische Erfahrungen genauso Teil unserer sozialen Welt und unseres inneren Lebens sind wie andere Erfahrungen auch.

 

Wichtig war mir in dem Projekt, dass im Mittelpunkt der Mensch steht, als Erzähler und Darsteller seiner Erfahrung in Psychose, sowie seiner persönlichen Sinngebung. Um dies zu ermöglichen, trafen wir uns mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern erst in Einzelgesprächen und später in kreativen Workshops zusammen, die über zwei Tage liefen. Hier hatten wir die Möglichkeit an unseren einzelnen Projekten, die unsere Erfahrungen repräsentierten, zu arbeiten, uns über vorher festgelegte Themen auszutauschen (wie Körper und Geist; wissenschaftliche Ansätze, die sich mit psychotischem Erleben auseinandersetzen etc.), im Allgemeinen unsere Erfahrungen und Eindrücke zu teilen und anhand von unterschiedlichsten Materialien kreativ zu werden.

 

Ich selbst im Januar 2018 mit einer akuten polymorphen psychotischen Störung diagnostiziert war genauso Teilnehmerin, wie Organisatorin und erstellte auch mein persönliches Projekt, das ebenfalls in meine Abschlussarbeit mit einfloss. Meine Abschlussarbeit „A glimpse beyond reality“ besagt, beruhend auf dem Projekt, dass psychotische Erfahrungen eben auch authentische Erfahrungen sind, wo auch immer der Erlebende sie für sich verorten mag. Sie haben daher das gleiche Recht darauf erzählt, gehört, sichtbar und teilbar gemacht zu werden, wie andere Lebenserfahrungen auch. Denn das psychotische Erleben ist Teil dieser Welt und des Lebens und sollte in ihnen auch Platz finden.

 

Britta, Christopher und Jürgen präsentieren im Folgenden ihr jeweiliges Projekt, begleitet von ihren Erzählungen. Die Kreativität und Vielfalt allein dieser drei Projekte (ein Sammelband von selbstgeschriebenen und gesammelten Gedichten mit Fotos, eine selbstgestaltete menschengroße Schaufensterpuppe und ein gemaltes Welt-Bild) steht für mich gleichermaßen für die Vielfalt des psychotischen Erlebens, mit all ihren hellen und dunklen Seiten.

 

Jürgen

 

Stellen Sie sich vor, Sie suchen etwas Ihr ganzes Leben. Sie haben fast aufgegeben, es zu finden... und dann finden Sie es! Wie würden Sie sich fühlen? Würden andere mitbekommen, wie sie sich fühlen? Nun, vielleicht ist es gar etwas, das andere nicht so nachempfinden können. Und manche fangen an, auf ihre sichtbaren Gefühlszustände zu reagieren. Schließlich machen sie sich gar Sorgen.... Sie sind so anders! Könnten Sie verrückt sein? Wie reagieren Sie?

 

Wenn Sie an Gelassenheit verlieren, könnte es kritisch werden. Vielleicht fordern andere etwas von Ihnen, dass sie nicht leisten wollen oder können, jetzt, wo Sie gerade mit Ihrem "Fundstück" beschäftigt sind. Vielleicht müssen Sie selber erstmal sortieren, was da gerade passiert.

 

So kann sich eine Krise zuspitzen. Zweimal habe ich es so erlebt. 1987, als ich endlich mit tiefen Kräften der Heilung in Kontakt kam, die ich geahnt aber nicht gewusst habe. Jetzt wusste ich: "Heilung ist möglich, Gott ist real!". Das wollte integriert sein....

 

Und 2015, in einem „Vulkanausbruch der Seele“ nach kumulierenden Ereignissen, Konflikten und Prozessen, diesmal jedoch mit 28 Jahren Erfahrung in Therapie und Selbsterforschung, davon 14 Jahre als anerkannter und bei Patienten beliebter Suchttherapeut in der stationären Entwöhnungsbehandlung.

 

Die gelungene Bewältigung und Integration beider Krisen sucht immer wieder Ausdruck. Wie kann ich meine Sicht auf psychiatrische Erkrankungen sinnvoll weitergeben? Nicht nur als Therapeut, da kann es gar gefährlich sein, wenn ich zu viel von mir oute.

 

Beatrice Salamena hat einen fantastischen Raum geöffnet, mir eine Freude bringende, heilsame Integration ermöglicht und mich inspiriert, ein kreatives Panorama in Wort und Bild zu erstellen: „Absurd, sagte die Eintagsfliege, als sie das Wort Woche hörte.“

 

Christopher

 

Gefesselt im Stacheldraht wird diesem symbolischen Menschen in Form einer Schaufensterpuppe die Grenze seines Körpers und die Grenze seiner Psyche zum Umfeld sichtbar. Die von außen kommenden, nach außen gehenden Empfindungen sind schmerzhaft. Die Freude im Austausch mit der Welt zu sein findet in der Utopie eines harmonischen Zusammenlebens statt. Die Enttäuschung, dass die Welt noch nicht dazu bereit ist, ist der Grund dafür, dass der Stacheldraht nicht durchbrochen wird. Weder von einem selbst noch vom Umfeld. Nicht angreifbar zu sein und niemand angreifen zu können, macht einen handlungsunfähig und man ist kein Teil der Gesellschaft. Die Suche und der Aufbau von Kanälen einander zu entdecken und verstehen zu lernen, die nicht schmerzen, ist das Anliegen beider Seiten. Wie stark ist der Stacheldraht bei Ihnen zurzeit?

 

Die Lösung kann nur aus einem selbst kommen, wenn man genug Raum bekommt diese zu formulieren, und dann den Mut aufbringt sie umzusetzen und dabei von den anderen nicht gehindert wird. Man wird nie frei von den Qualen des Stacheldrahtes sein, doch man erfährt Wertschätzung von denjenigen, die in einen hineinblicken und einen als Menschen sehen, der so viel Schönes in sich trägt und dies weitergeben will. Lass` mich dich dort entdecken, wo du schon immer warst ………..

 

Britta

 

Mit meiner eigenen Welt in einer von Anderen konstruierten Welt leben

 

Wo ist mein Platz in der Gesellschaft? Gefühlt ist er am Rand, viel erlebt, viel gelernt, aber keine richtige Ausbildung. Kein Geld, kein Wert. Es ist anstrengend, mir selbst einen Wert zu geben, wenn der Wertmaßstab von anderen in der Gesellschaft festgelegt wird. Im Job habe ich mir einen Wert erarbeitet. Als Ergänzungskraft habe ich oft die Arbeit gemacht, die die anderen nicht so gern taten. Dafür war man dankbar, ich bin nett, fleißig, hilfsbereit, unkompliziert. Ich halte den Rücken frei, damit die anderen ihre wirklich wichtige Arbeit machen können. Das ist der Platz, den ich einnehme, den ich mir ausgesucht habe. Im Inneren tobt der Sturm. Im Außen angepasst funktionierend, im Inneren Gedankenchaos, abdriften, Umfeld scannen, wie muss ich sein, damit keiner merkt, dass ich ver-rückt bin?

 

Wo ist der Platz an dem ich mein Ver-rücktsein normal leben kann? Dem Ver-rücktsein einen Ausdruck geben kann, in meiner Sprache in meinem gedanklichen Kontext. Außerhalb des mächtigen Psychiatriesystems, das mich als zu behandelnden Patienten mit Fehlfunktionen im Neurotransmitterbereich reduziert. Wie sollte ich nicht den Kontakt zu der „als normal definierten Realität“ verlieren, wenn meine Realität nicht aussprechbar und dadurch schlimmstenfalls nicht aushaltbar ist?

 

Ich bin keine Diagnose, sondern ein Mensch mit Erfahrungen und Erlebnissen. Ein Mensch mit einem funktionierenden Körper, der in schlimmen, schwer aushaltbaren Situationen richtig reagiert hat, um zu überleben. Medikamente und geschützte Räume waren wichtig für mich, aber die Stigmatisierung und die Macht der psychiatrieorientierten Sprache, die mich auf eine Diagnose reduziert, schränkt meine Lebendigkeit ein.  Die Experten im psychiatrischen Kontext eignen sich mit ihrem Expertenwissen eine Macht an, die als Wahrheit anerkannt wird. Diese Wahrheit wird in einer Fachsprache ausgedrückt, die allwissend wirkt und die die Betroffenen mit ihrer ureigenen Sprache ausgrenzt oder als unbedeutend oder krank bewertet.

 

…..irgendwann glaubte ich selber unbedeutend und krank zu sein. Ein Teil von mir glaubt es immer noch. Meine Diagnose bekam ich 1991, Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis.  1996 wollte ich sie nicht mehr, gab den Schwerbehindertenausweis ab, brauchte keine Tabletten mehr. Was hatte sich geändert? Ich wurde geliebt von meinem Mann, den ich während meiner Krankheit kennengelernt hatte und war glücklich, als meine Kinder zur Welt kamen. Mein nun sinnvolles, arbeitsreiches Leben, welches nun von liebevollen Beziehungen geprägt war, weckte meine „leben wollenden Anteile“.  Nicht nur überleben, sondern leben wollen mit Lachen, Weinen und alles was dazwischen liegt. Ich möchte in meiner Arbeit als Genesungsbegleiter auch diese lebendigen Anteile in anderen psychisch belasteten Menschen stärken.

 

Wer Interesse an Jürgens Gedichtband hat oder an ähnlichen Austauschprogrammen teilnehmen und mitmachen möchte, kann gerne in Kontakt treten.